Was meinen wir mit Strukturen bilden?

Der erste Schritt einer jeden Kanzlei, im übrigen gilt das auch für jedes andere Unternehmen genauso, ist es Strukturen innerhalb des Unternehmens zu etablieren. Wenn sogenannte Workflows etabliert sind, entstehen Effizienzsprünge. Egal um welchen Arbeitsbereich es innerhalb der Kanzlei geht, es sollte zwingend darauf geachtet werden, dass Handlungen, die sich wiederholen, so strukturiert werden, dass diese immer in der gleichen Art und Weise gelöst werden.

Beispiel 1 - Textwiederholungen (Komplexitätsstufe 1)

Jeder Anwalt muss Schriftsätze an Mandanten, Gerichte, Behörden und andere Verfahrensbeteiligt schicken. Spätestens, wenn ein Anwalt das zehnte Mal in seinem Berufsleben den Satz "zeige ich Ihnen hiermit Namens und in Vollmacht meiner Mandantschaft an" manuell eingetippt hat, wird er sich Textblöcke zurecht legen, um Zeit zu sparen. Hierbei handelt es sich um eine sehr einfache Form von strukturierte Arbeit.

Strukturen bilden ist bei der Individualität von Rechtsanwaltskanzleien unmöglich

Ich höre es immer wieder von anderen Anwälten, dass jedes Verfahren anders ist. Ja, zu einem gewissen Prozentsatz ist das so. Bloß wichtig ist es frühzeitig zu erkennen, dass dieser Prozentsatz deutlich geringer ist als du denkst. Egal ob es um eine Kündigungsschutzklage oder oder um eine außergerichtliche Zahlungsaufforderung geht, Prozesse innerhalb einer Kanzleien wiederholen sich. An dieser Stelle ist es von enormer Bedeutung, dass die Kanzlei die Fähigkeit besitzt zu abstrahieren. Je spezifischer das eigene Geschäftsmodell (z.B. Kanzlei macht ausschließlich Kündigungsschutzklagen), desto einfacher ist die Strukturierung, weil es einfacher ist zu abstrahieren. Wenn sich bereits auf den ersten Blick Vorgänge wiederholen bilden sich Strukturen fast von selbst. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch ein absolutes  "Muss", den Fokus auf einzelne abtrennbare Geschäftsmodelle (z.B. nicht Arbeitsrecht, sondern nur Kündigungsschutzklage) zu setzen. Genau deswegen sind Inkasso Rechtsdienstleister oder Steuerberater (bzw. Buchhalter) so erfolgreich, weil der Tätigkeitsschwerpunkt eher einer Produktion gleicht, als einer individuellen Bearbeitung von Einzelfällen. Wenn du es schaffst, diese Denkweise einmal in deinen Kopf zu bekommen, wird es dir nach und nach gelingen, diese vergleichbaren Vorgänge auch zwischen verschiedenen "Geschäftsmodellen" zu erkennen. Es geht dabei nie um die 10-40 % die einfach individuell sind und bleiben, es geht um die übrigen 60-90 %!

Beispiel 2 - Honorarvereinbarung (Komplexitätsstufe 2) 

Egal ob ich ein Arbeitsrechtsmandat oder ein größeres Mietrechtsmandat akquiriere, als Rechtsanwalt benötige ich eine Honorarvereinbarung - wenn ich nicht gesetzlich abrechne - von meinem Mandanten. Auch bei diesem einfachem Beispiel gibt es sich wiederholende Vorgänge und individuelle Vorgänge.

1. Wiederholende Vorgänge

• Mandat muss Honorarvereinbarung unterschreiben, egal welches Rechtsgebiet
• 90 % der Texte innerhalb der Honorarvereinbarung sind gleich
• Honorarvereinbarung muss in Akte abgelegt werden

Wenn klar ist, dass der Mandant jede Honorarvereinbarung unterschreiben muss, wäre es sinnvoll, die Art und Weise des Vorgangs zu vereinheitlichen, d.h. zu strukturieren. Bei den meisten Kanzleien läuft es wie folgt ab: Einige Mandanten unterschreiben Vollmachten im Original in der Kanzlei, anderen bekommen diese per Mail zugeschickt, drucken die Honorarvereinbarung aus, unterschreiben diese und schicken sie dann per Mail oder per Post zurück oder bringen sie persönlich in die Kanzlei. Das ist keine Struktur. Immer wieder sind individuelle Vorgänge notwendig. Aufgrund der Tatsache, dass Mitarbeiter mitdenken wird auch bei diesem einfachen Beispiel am Ende immer eine Unterschrift unter der Honorarvereinbarung sein, wenn der Mandant denn mandatiert, jedoch ist der Weg zur Unterschrift immer ein anderer.

Eine gangbare Lösung besteht darin, jede Honorarvereinbarung digital über den gleichen Kanal unterschreiben zu lassen. Egal ob der Mandant in der Kanzlei oder zu Hause ist, die Unterschrift wird über eine App gesteuert und landet automatisch in der elektronischen Akte. Auch dieses Bespiel ist auf der Range der Vorgänge innerhalb einer Kanzlei noch übertrieben simpel, aber dennoch ist nicht einmal dieser Vorgang bei 90 % aller Kanzleien strukturiert.

2. Individuell Vorgänge

• Individuelle Textpassagen aufgrund von Besonderheiten des einzelnen Mandats

Natürlich gibt es auch bei diesem Fall Vorgänge, die individuell sind. Auch hier gilt wieder, je breiter das Geschäftsmodell (Mietrecht, Familienrecht, Vertragsrecht, Strafrecht, ect), desto mehr individuelle Vorgänge gibt es. Achte hierbei nicht auf den Teil der individuell ist, setze den Fokus bei der Strukturierung auf sich wiederholende Vorgänge. Du musst einfach nur verstehen, dass es auch bei extrem individuellen Geschäftsmodellen Vorgänge gibt, die sich wiederholen. Wenn du einmal diese Denkweise verstanden hast, wirst du süchtig danach werden, Prozesse zu optimieren.  

Strukturierung ist abhängig vom Geschäftsmodell. Sei dir darüber bewusst!

Je mehr Vorgänge sich wiederholen innerhalb einer Kanzlei, desto mehr Raum ist für Strukturierung und desto einfacher läuft die Vereinheitlichung von Prozessen ab. An dieser Stelle hast du genau zwei Möglichkeiten:

Möglichkeit 1 = Stundenlohn erhöhen (=gut)

Wenn dein Geschäftsmodell sehr breit aufgestellt ist und du diverse Rechtsgebiete mit unzähligen unterschiedlichen Rechstproblemen anbietest, kannst du an einigen Stellen strukturieren, aber große Effizienzsprünge werden nicht möglich sein. Nichtsdestotrotz solltest du aus alle potentiellen Optionen zum strukturieren, vereinheitlichen und Work Flow Buildung nutzen die du findest. Wenn Effizienzsprünge und damit auch die Vorteile von Digitalisierung, Automatisierung und Rechtsprodukten stark in den Hintergrund fallen, ist dein einziger Hebel die Qualität deiner Rechtsdienstleitung so stark zu erhöhen, dass dein Stundenlohn steigt. Bei diesem Vorgehen ist der Erfolg klar begrenzt, da der Stundenlohn Grenzen haben wird und das Geschäftsmodel niemals skaliert. Wenn du in diesem Bereich arbeitest und Mandate mit vermeintlichen kleinen Streitwerten (unter 10.000 Euro) bearbeitest und dabei nicht das Ziel der Skalierung verfolgst, wirst du niemals Rechtsdienstleistung auf höchster Qualitätsstufe anbieten können, da es bereits mathematisch unwirtschaftlich ist. In dem Bereich musst du kleine Streitwerte verlassen!

Möglichkeit 2 = Spezialisierung (= sehr gut)

Es sollte auf der Hand liegen, aber dennoch ist dieser Fakt vielen nicht derartig präsent, wie er es sein sollte. Je ähnlicher dein Fälle sind, desto eher skalieren Geschäftsmodelle und desto besser lassen sich Strukturen bilden. Spezialisiere dich so stark wie möglich. Versuche wiederkehrende Rechtsprodukte (dazu später) aufzubauen, um Strukturen bilden zu können. Hierbei scheitert es meistens daran, dass der Kanzlei es nicht gelingt, gleiche Mandate in hohen Stückzahlen zu akquirieren.

Was ist die Folge?

Anstatt den Fokus auf Spezialisierung zu legen, wird aus finanziellem Druck in die Breite gearbeitet mit der Folge, dass aufgrund zu geringer Beratungsqualität weder der Stundenlohn steigt, noch Strukturierung mit dem Ziel der Skalierbarkeit erreicht wird.

Je komplizierter die Einarbeitung von Mitarbeiter, desto weniger strukturiert sind deine Unternehmensprozesse

Strukturen führen dazu, dass Mitarbeiter nicht Freestylen, d.h. weder nach Gefühl arbeiten, noch die Erfahrung der Mitarbeiter für den Erfolg des Vorgangs verantwortlich ist. 

Strukturen sind Leitplanken, die das Unternehmen führen, wenn auch innerhalb dieser Grenzen Raum für individuelle Arbeit ist und noch lange bleiben wird. 

Strukturen in den Köpfen deiner Mitarbeiter sind gerade keine Unternehmenstrukturen

Je länger Menschen Tätigkeiten ausführen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Vorgänge erfolgreich zu Ende gebracht werden. Erfahrung ist eben ein Erfolgsfaktor. Hierbei handelt es sich nicht um Unternehmensstrukturen die aktiv herausgebildet werden. Dein Ziel sollte es sein, nicht nur Strukturen zu bilden, die deine Unternehmung effizienter gestalten, sondern diese Strukturen weitestgehend unabhängig von einzelnen Mitarbeitern zu gestalten. 

Stell dir innerhalb deiner Kanzlei die Frage, woran es liegt, dass ein Vorgang funktioniert hat

Warum weiß beispielsweise ein Anwalt, dass er nach erhalt eines gewonnen Urteils in der Regel einen Kostenfeststellungsantrag stellen sollte? Weil sich herausgestellt hat, dass die Kosten des Verfahrens vom Gegner getragen werden. Was nach einigen Jahren Berufserfahrung völlig banal ist, stellt für einen Berufsanfänger eine große Hürde da. Unternehmenstrukturen führen dazu, dass unabhängig von der Erfahrung des Anwalts analoge oder digital Hinweise erfolgen, was der nächste Schritt ist. Auch hier gilt wieder, je spezieller das Geschäftsmodell, desto einfacher die Unternehmenstrukturierung. Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Wissen darum Garant für den Erfolg ist. In einigen Bereich ist es nicht möglich oder unwirtschaftlich, aber überall wo Wissen nicht in den Köpfen von Mitarbeitern, sondern in Strukturen bzw. Systemen festgehalten werden kann, macht sich dein Unternehmen unabhängig bzw. unabhängiger von Mitarbeitern.

Digitalisierung ist nichts ohne Strukturierung

Woran merkt man, dass die wenigstens Unternehmen und Berater wirklich Ahnung von Digitalisierung haben? Sie benutzen einfach zu oft das Wort Digitalisierung ohne den Mehrwert zu kennen. In dem Moment, wo du Daten in Systemen ablegst (digitalisierst), stellt sich die Frage, was für Daten lege ich ab, wozu lege ich diese Daten ab und wie verarbeite ich diese Daten weiter. Digitalisierung ist ein nichts sagendes Wort das per se keinen Mehrwert bringt. Wenn du das Zusammenspiel von strukturierten Prozessen, der Ablage und Weiterverarbeitung von Daten verstehst, frühestens dann bist du bereit über automatisierte Vorgänge innerhalb von Kanzleien zu sprechen. 

Strukturierung First!