Widerruf von Immobilienkreditverträgen? | #90

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Im ersten Quartal 2020 ging aufgrund diverser höchstrichterlicher Entscheidungen immer wieder die Frage durch die Presse, ob man seinen Immobilienkreditvertrag widerrufen sollte. In dem Blog möchten wir klären, wie die Erfolgschancen des Widerrufs einzuschätzen sind und welche Ziele damit verfolgt werden können. 

 

Im Falle eines erfolgreichen Widerrufs oder einer erfolgreichen Widerrufsverhandlung sind erhebliche Zinsrückzahlungen (ca. 20.000 - 70.000 Euro) bzw. Zinseinsparungen (ca. 2.000 - 8.000 Euro) realistisch.  

 

Rechtlicher Hintergrund

Hintergrund dieser rechtlichen Widerrufsmöglichkeit sind vermeintlich fehlerhafte Widerrufsbelehrungen, die durch diverse Banken, u.a. die deutsche Bank, in den vergangen Jahren verwendet wurden. Grundsätzlich können Verträge 2 Wochen widerrufen werden. In den letzten Jahrzehnten gab es unzählige falsche Widerrufsbelehrungen. Die Folge war, dass sich tausende Verbraucher gerichtlich über die Frage stritten, ob und wie lange ein Widerruf im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung möglich sei. 

 

I. Fehlerhafte Widerrufsbelehrung

Wie kann nun solch eine fehlerhafte Widerrufserklärung aussehen? Aktuelles Beispiel aus einem Kreditvertrag von 2012:

 

„Widerrufsrecht

 

Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. Der Darlehensnehmer hat alle Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung seines Antrags oder in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für den Darlehensnehmer bestimmten Abschrift seines Antrags oder der Vertragsurkunde enthalten sind und dem Darlehensnehmer eine solche Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist. Über in den Vertragstext nicht aufgenommene Pflichtangaben kann der Darlehensnehmer nachträglich in Textform informiert werden; die Widerrufsfrist beträgt dann einen Monat. Der Darlehensnehmer ist mit den nachgeholten Pflichtangaben nochmals auf den Beginn der Widerrufsfrist hinzuweisen. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: […]“

 

II. EuGH räumt "Widerrufsjoker" ein

Der aktuelle Anlass für diesen BLOG ist eine Entscheidung des EuGH, Urteil vom 26.03.2020, C-66/19. Zum nachlesen der original Quelle klicken Sie HIER.

Dieser Entscheidung ist zu entnehmen, dass im Falle derartiger Widerrufsbelehrungen das Widerrufsrecht "ewig" wirken kann. Falls Sie aktuell laufende Immobilienkreditverträge besitzen, die in der Zeit vom 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen wurden, lohnt sich ein Blick in die Widerrufsbelehrung Ihres Kreditvertrages. Hintergrund der EuGH Entscheidung ist im Wesentlichen, dass der jeweiligen Bank vorgeworfen wird, dass bei derartigen Widerrufsbelehrungen der Verbraucher den Beginn der Widerrufsfrist nicht ohne rechtlichen Beistand berechnen kann.

 

II. BGH ist anderer Meinung

Kurz nach der Entscheidung des EuGH veröffentliche der BGH (XI ZR 198/19 und XI ZR 198/19) zwei Entscheidungen, in denen er die Rechtsansicht des EuGH ausrücklich zurückwies. Der BGH war in seiner rechtlichen Aufarbeitung der Rechtsfrage, ob die beschriebenen Widerrufsbelehrungen fehlerhaft waren sehr eindeutig, und wies die Entscheidung des EuGH mit Nachdruck zurück.

 

III. Welche Chancen bietet mir ein Widerruf?

Rechtlich ist aktuell nicht absehbar, ob sich die Rechtsansicht des BGH, oder die Rechtsansicht des EuGH durchsetzen wird. Ein Widerruf kann meiner Meinung nach aus 2 Gründen sinnvoll sein:

    1. EuGH Rechtsansicht setzt sich durch

Sollte sich die Rechtsansicht des EuGH durchsetzen, wäre ein Widerruf für tausende Kreditnehmer ein Geschenk des Himmels. In dem Fall würde der Kreditvertrag rückabgewickelt werden und der Zins müsste nach meiner Einschätzung zu großen Teilen erstattet werden. Im Ergebnis hätte man sich bestenfalls viele Jahre Geld "geliehen" und müsste dafür keine bzw. weniger Zinsen zahlen. Bei Kreditverträgen ab 350.000 Euro, abhängig von Zins und Tilgung, spricht man relativ schnell über Zinsschäden von ca. 40.000 - 70.000 Euro.

 

    2. Risiken der Banken ausnutzen 

Die Banken, die derartige Widerrufsbelehrungen eingesetzt haben, stehen aktuell vor einer unglaublichen Klagewelle. Es ist aufgrund vergangener EuGH Entscheidungen aus meiner Sicht absolut nicht absehbar, wohin sich die europäische Rechtssprechung entwickeln wird. Sollte sich tatsächlich die Rechtsansicht des EuGH durchsetzen, hätte das für etliche Banken verherende finanzielle Auswirkungen. Auf diesen Umstand kann man mit einem Widerruf hinwirken und das Risiko der Bank zu eigenen Gunsten ausnutzen. Eine Rückabwicklung gegen Erstattung der gezahlten Zinsen ist aus meiner Sicht außergerichtlich aussichstlos. Darauf kann und wird sich keine Bank einlassen. Wer diesen Weg bestreiten möchte, muss sich auf jahrelange Rechtsstreitigkeiten einlassen, die im Ergebnis sehr erfolgreich sein, aber natürlich auch scheitern können. Aber aufgrund der enormen finanziellen Risiken für den Fall, dass sich die EuGH Rechtssprechung durchsetzt, kann nach Einlegung eines Widerrufs mit einer Bank verhandelt werden. 

Aus meiner Sicht ist der effektivste und realistischste Deal derjenige, dass eine sofortige Tilgung ohne Vorfälligkeitsentschädigung verhandelt wird. In dem Fall trägt die Bank nicht mehr das Risiko, dass große Teile oder sogar der gesamte Zins erstattet werden muss. Auf der anderen Seite können Sie im Falle ausreichender Liquidität oder Umschuldung des Kredites mehrer Tausend Euro sparen. 

 

 

IV. Vorsicht: Risiken! 

Für den Fall, dass Sie einen Widerruf mit oder ohne Rechtsanwalt einlegen, bereiten Sie sich auf Gegenwehr vor. Zunächst werden Sie von der Bank ein Standartschreiben erhalten, in dem auf die aktuelle BGH Rechtssprechung verwiesen wird.

Für den Fall, dass Sie bei dieser Bank mehrere Kreditverträge haben kann es passieren, dass Ihre Bank mit der Fälligstellung sämtlicher Kreditverträge droht. Lassen Sie sich davon nicht verunsichern. Nach meiner Rechtsauffassung ist die Fälligstellung sämtlicher Kreditforderungen unzulässig. Zum anderen kann auch das eine interessante Konstellation für Sie werden, da in dem Fall eine Umschuldung durch eine andere Bank möglich wird. Bevor Sie diesen Weg gehen, sollten Sie sich über die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Umschuldung informiert haben.

Liqudität!!!

Egal wieviel Kredite Sie haben und wieviel Kredite widerrufen werden. Wenn Sie diesen Weg gehen, müssen Sie in jedem Fall "liquide" sein. Ziel ist es ja gerade, Zinsen zu sparen, durch eine sofortige Tilgung ohne Vorfälligkeitsentschädigung. Widerrufen Sie bitte nicht aufgrund der aktuellen Presseberichte Ihre Kreditverträge, ohne die Folgeschritte bedacht zu haben.

Wenn Sie sich über diese Risiken Gedanken gemacht haben, kann der Widerruf für Sie sehr lukrativ sein. 

 

 

 

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Wenn Sie nicht sicher sind, ob ein Widerruf in Ihrer Situation sinnvoll ist, kontaktieren Sie uns gern.